Ausgabenbremse Sozialversicherung: „Deutliches Zeichen des Misstrauens!“

Nach dem überraschenden Beschluss einer „Ausgabenbremse“ für Sozialversicherungen im Parlament gehen die Wogen hoch. Vertreterinnen und Vertreter der Krankenkassen übten am Freitag scharfe Kritik an dem von ÖVP, FPÖ und NEOS beschlossenen Vorhaben. Hauptverbandschef Alexander Biach warnte vor Versorgungsengpässen.

„Der gesetzlich verordnete Finanzierungsstopp ist bedauernswerterweise ein sehr deutliches Zeichen des Misstrauens“, sagte Biach. Die Sozialversicherung wirtschafte seit Jahrzehnten mit größtem Verantwortungsbewusstsein, betonte der Hauptverbandschef. Jede Investition werde ordentlich geplant und in den Gremien beschlossen. Mit dem Beschluss im Parlament werde der Sozialversicherung aber unterstellt, „dass sie nicht wirtschaften kann und unnötig Geld ausgibt“, kritisierte Biach.

Im Parlamentsbeschluss ist unter anderem vorgesehen, dass die Sozialversicherungen leitende Angestellte und leitende Ärztinnen und Ärzte nur noch bis Ende 2019 befristet aufnehmen dürfen. Zudem müssen Bauvorhaben gestoppt werden. Insgesamt stelle der Beschluss die Sozialversicherungsträger vor völlig neue Herausforderungen, sagte Biach: „Ich hoffe, dass es in den kommenden Wochen noch Klärungen wichtiger Detailfragen gibt und sich auch der Gesetzgeber seiner hohen Verantwortung bewusst ist. Keinesfalls darf es durch diesen Schnellschuss zu Versorgungsengpässen kommen.“

Scharfe Kritik aus den Bundesländerkassen
Scharfe Kritik an der „Ausgabenbremse“ kam aus den Krankenkassen in den Bundesländern. In der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse (NÖGKK) wird befürchtet, bereits geplante Projekte nicht mehr umsetzen zu können. „Es bewahrheitet sich nun, was wir befürchtet haben: Die Kundennähe in den Bezirken soll eingeschränkt werden“, teilte die NÖGKK mit. Zahlreiche Neubau- und Erweiterungsprojekte müssten auf Eis gelegt werden.Auch die Personalsuche werde mit dem Beschluss erschwert: „Für Nachbesetzungen werden wir kein geeignetes Fachpersonal mehr finden, wenn jeder qualifizierte Arbeitsplatz ein Ablaufdatum im Jahr 2019 hat. Das ist eine betriebsorganisatorische Katastrophe.“ Dass die Selbstverwaltung ein Vorabvetorecht bei den anstehenden Honorarverhandlungen mit der niederösterreichischen Ärzteschaft durch das Ministerium bekomme, sei „vermutlich verfassungswidrig“, so die NÖGKK – mehr dazu in noe.ORF.at.

WGKK: „Frontalangriff auf Gesundheitssystem“
Empört reagierte auch die Obfrau der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK), Ingrid Reischl, die von einem „Frontalangriff auf das Gesundheitssystem“ sprach. „Wir werden weiter Engpässe in der Kinderversorgung haben, keine Schmerzversorgung, keine Wundversorgung. In Summe bleiben wir beim teuren Spitalssystem und können die Auslagerungen nicht durchführen“, sagte Reischl gegenüber Radio Wien – mehr dazu in wien.ORF.at.

Manfred Brunner, Obmann der Vorarlberger Gebietskrankenkasse (VGKK), sah den Gesetzesbeschluss im Nationalrat als eine „Maßnahme, die dem Showeffekt geschuldet ist“. Es sei selbstverständlich, dass in einer Veränderungsphase Behutsamkeit angesagt sei, „dafür bräuchten wir aber nicht eine Regierung, die uns einen Ausgabendeckel aufs Auge drückt“, sah Brunner einen „Misstrauensvorschuss“.

„Das werden die Versicherten spüren“
„Das werden die Versicherten spüren, wenn es einen Aufnahmestopp gibt“, stellte auch der Obmann der steirischen Gebietskrankenkasse (STGKK), Josef Harb, fest. Projekte würden wackeln bzw. sei es völlig unsicher, ob sie in der geplanten Form kommen könnten, so Harb. Das könne vom geplanten Gesundheitszentrum im obersteirischen Bezirk Liezen reichen bis hin zum ausgerechnet am Freitag in Graz präsentierten Paket, abgeschlossen mit der steirischen Ärztekammer. Die Ärztekammer und die Gebietskrankenkasse hatten sich auf einen neuen Vertrag über die ärztliche Versorgung der Bevölkerung geeinigt.

Der vom Nationalrat beschlossene Baustopp für die Krankenkassen trifft die Kärntner Gebietskrankenkasse (KGKK) nach eigener Aussage hart. Direktor Johann Lintner erklärte, man habe gerade einen Neubau in Völkermarkt in Planung. Man stecke mitten in den Verhandlungen, um den alten, nicht barrierefreien Standort durch einen neuen zu ersetzen. Was nun passiere, sei offen.

Der Obmann der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse (OÖGKK), Albert Maringer, ist erbost. Für ihn handelt es sich um einen „Knebelparagrafen“, der den „Stillstand im Gesundheitssystem“ provoziere. Schon die Vorgangsweise am Donnerstag im Nationalrat ärgerte ihn: „Ich finde es sehr bedenklich, dass wir über einen Initiativantrag reden müssen, der nur mündlich eingebracht wurde.“ Ebenso ist ihm nicht erklärlich, warum diese „Ausgabenbremse“ im Erwachsenenschutzgesetz verankert sein soll.

BGKK-Chef fürchtet „Umfärbeaktion“
Christian Moder, Obmann der Gebietskrankenkasse Burgenland (BGKK), fürchtete indes eine Umfärbeaktion: „Das klingt nicht nur, sondern das stinkt sehr nach Umfärbelungsaktionen.“ Offenbar wollen ÖVP und FPÖ ganze Führungshierarchien umbesetzen mit „sehr wirtschaftsaffinen Personen“. Der Obmann der Tiroler Gebietskrankenkasse (TGKK), Werner Salzburger, kritisierte: „Das ist eine unglaublich harte Maßnahme und ein deutliches Zeichen des Misstrauens.“ Die ÖVP-FPÖ-Regierung werfe den Kassen „Prügel vor die Füße“, so Salzburger. Er sah vor allem negative Auswirkungen auf die Vertragsverhandlungen mit der Ärztekammer im Bundesland, die – wegen des Auslaufens des Vertrages am 31. Dezember – eigentlich anstehen würden.

Der Obmann der Salzburger Gebietskrankenkasse (SGKK), Andreas Huss, sprach von einem „skandalösen“ Beschluss: „Es wird uns unterstellt, dass wir nicht in der Lage sind, unsere Ausgaben in den Griff zu bekommen, und dass wir mehr Geld ausgeben, als wir einnehmen.“

Empörung bei Ärztekammer und Arbeiterkammer
Nicht nur Kassenvertreterinnen und -vertreter, auch die Ärztekammer (ÖAK) und Arbeiterkammer (AK) sind über die „Ausgabenbremse“ für die Sozialversicherungen empört. ÖÄK-Vizepräsident Johannes Steinhart kritisierte in einer Aussendung, dass es längst fällige Investitionen nicht geben soll. Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl hat auch verfassungsrechtliche Bedenken.

Anderl kritisiert sowohl die „überfallsartige“ Vorgangsweise im Nationalrat als auch die „massiven Änderungen“ für die Sozialversicherung. „Das sind verfassungsrechtlich bedenkliche Eingriffe in die Selbstverwaltung“, so die AK-Präsidentin. Die „Ausgabenbremse“ blockiere vor allem die Versorgung mit qualitativ hochwertigen Leistungen: „Das bekommen letztlich die Versicherten zu spüren, und das ist ungeheuerlich“, zeigte sich Anderl empört.

ÖÄK-Vizepräsident Steinhart warnte in einer Aussendung vor dem Vorhaben der Bundesregierung, die Ausgaben für die Leistungen im niedergelassenen Ärztebereich in den nächsten zwölf Monaten einzufrieren. Er kritisierte, dass in den Vertragsverhandlungen nur mehr die Finanzsituation der Kassen eine entscheidende Rolle spielen soll und nicht mehr die Notwendigkeit einer kassenärztlichen Versorgung: „Das gesamte Versicherungsrisiko wird den Ärzten aufgebürdet.“ Auch die befristeten Gesamtverträge mit Nulllohnrunden bis Ende 2019 seien verlängert worden, so Steinhart.

Experten: VfGH könnte „Ausgabenbremse“ kippen
Ebenso wie einige Krankenkassenvertreterinnen und -vertreter zeigten sich am Freitag auch zwei Verfassungsjuristen skeptisch, was die rechtliche Haltbarkeit der „Ausgabenbremse“ betrifft. Diese sei ein Eingriff in die verfassungsrechtlich garantierte Selbstverwaltung, meinte Theo Öhlinger gegenüber der APA: „Das ist auf jeden Fall verfassungsrechtlich äußerst fragwürdig, weil es ein ganz massiver Eingriff in die Selbstverwaltung ist, und die ist verfassungsrechtlich garantiert.“ Und weiter: „Ich kann mir das schwer vorstellen, dass das vor dem VfGH (Verfassungsgerichtshof; Anm.) halten würde.“

SPÖ und der Österreichische Gewerkschaftsbund hatten bereits am Donnerstag die beschlossenen Maßnahmen als verfassungswidrig kritisiert. Aus verfassungsrechtlicher Sicht für „zumindest fragwürdig“ hält die Maßnahmen auch Verfassungsrechtler Heinz Mayer, da in die Organisationshoheit der Sozialversicherungen eingegriffen wird. Postenbesetzungen gehören wohl zu den inneren Anliegen, die sie als Selbstverwaltungskörper selbst erledigen können. Möglich wäre seiner Ansicht nach, dass eine Besetzung etwa eine Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde – das Sozialministerium – benötigt, und diese nicht erteilt wird: „Das wäre in einem gewissen Rahmen zulässig.“ Ein generelles Verbot, leitende Ärztinnen und Ärzte anzustellen, hält er aber nicht für zulässig. „Es ist jedenfalls ein Grenzbereich“, stellte Mayer fest.

Hartinger-Klein: „Panikmache unbegründet“
Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) versuchte am Freitag, die Wogen zu glätten: Die „Panikmache“ der Krankenkassen sei unbegründet, erklärte die Ressortchefin in einer Aussendung und betonte, dass es zu keinen Versorgungsengpässen kommen werde.

Um das System der Sozialversicherungen zu reformieren und die Zahl der Träger und Funktionäre deutlich zu reduzieren, seien Regelungen für die Übergangszeit nötig, so Hartinger-Klein. Die legistischen Vorbereitungen für das Reformvorhaben laufen auf Hochtouren: „Wir müssen rechtzeitig vorbauen, damit das aufgeblähte System nicht noch größer wird.“ Man setze alles daran, dass „nicht weitere große, finanzielle Nachteile für die Versicherten entstehen“. Und das gehe nur mit einer Frist für die Vertragsverlängerungen.

„Keine Leistungskürzungen“
Ähnlich hatte sich am Donnerstag auch ÖVP-Klubchef August Wöginger geäußert. Mit der Kostenbremse solle sichergestellt werden, dass dafür gesorgt werden könne, dass im nächsten halben Jahr – bis die geplante Sozialversicherungsreform vorliegt – keine überbordenden Ausgaben getätigt würden. Ab Anfang 2019 sollen laut Hartinger-Klein Übergangsgremien etabliert werden, die über die künftige Struktur und die Verträge entscheiden. Bis dahin gelten für Vertragsabschlüsse und Verlängerungen von Verträgen auf Führungsebene die Befristungen bis 31. Dezember 2019.

Hartinger-Klein betonte, dass das Gesetz für die Patienten „keinerlei negative Auswirkungen“ habe. Es werde weder zu betriebsbedingten Kündigungen noch zu Versorgungsengpässen kommen. „Es wird durch die Reform zu keinerlei Leistungskürzungen für die Patientinnen und Patienten kommen“, so die Ministerin.
(Information von orf.at, 06.07.2018)

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